Ich habe noch ein leicht gespanntes Verhältnis zu seinen Werken. Einerseits war „Die Vermessung der Welt“ nicht zu unrecht so lange in den Bestsellerlisten, aber anderseits dachte ich beim lesen, dass er doch noch ein kleines Stück von der Brillanz Tellkamps oder Erpenbecks weg ist. Manches liest sich ein bisschen zu affektiert und zu gewollt auf genial getrimmt.
Trotzdem gehört er für mich zu den besten lebenden deutschen Schrifstellern. Darum war ein ausdrückliche persönliche Empfehlung nur ein weiterer Anstoß, auch dieses Buch zu lesen. Der Anfang war dann wieder so wie oben beschrieben: zu gewollt auf genial gemacht, aber leicht daneben geschossen. Irgendwie springt der Funke bei mir nicht über. Er schreibt 9 kurze Geschichten, die miteinander teilweise lose, teilweise eng verwoben sind. Ab Geschichte 3 steigt seine Form gewaltig an. Hier lässt er erahnen, was man von ihm noch alles in späteren Jahren erwarten kann.
Z.B. die Geschichten über eine krebskranke pensionierte Lehrerin, die zu einem Sterbehilfeverein nach Zürich reist oder einen Schauspieler, der sich selber imitiert und sich dabei verliert, sind grandios und verstörend. Es geht ab da auf hohem Niveau weiter.
Bis er einen bösen Lapsus abliefert: Er beschreibt einen mittdreißiger Blogger und Forenschreiber. Hier wird sehr deutlich, dass er über etwas schreibt, von dem er keine eigenen echten Erfahrungen gemacht hat. Der Sprachstil hier ist ungefähr so gut getroffen, als wenn ein 60 jähriger Pastor versucht, einen auf HipHopper zu machen. Das ist richtig peinlich! So wie er das in dieser Geschichte darstellt, schreibt kein echter Blogger, nicht mal die ganz schlechten und peinlichen. Auch in den übelsten Auswüchsen bei German-Bash gibt es so was nicht. Nicht nur der Sprachstil ist hier völlig daneben. Diese Geschichte ist voller fachlicher Fehler. Er bringt Foren und Blogs durcheinander, benutzt den Begriff Nerd falsch, bringt technische Begriffe in falsche Bedeutungszusammenhänge usw.
Das Blöde ist: Auch dieses Buch steht wieder in den Bestsellerlisten. Das lesen Hunderdtausende von deutschen internetaversen Bildungsbürgern, die Blog sowieso für einen Schreibfehler halten und nun glauben, dass es immer richtig war, sich nicht mit diesen irren Internetjunkies zu befassen. Das wäre allein nicht weiter schlimm, aber ich fürchte, sie werden dann noch massiver ihre Kinder dabei behindern, sich zu normalen Menschen mit sinnvoller Internetnutzung zu entwickeln.
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lese-raum Bewertung Frank Roebers:
wenn ein schriftsteller sich so einen fauxpas erlaubt, ist es das eine – er kann sich auf künstlerische freiheit berufen, darauf, er wolle nur ein abstraktes bild zeichnen und etwas ganz anderes verdetulichen, so daß es auf fachliche korrektheit nicht ankommt.
noch viel schlimmer ist, wenn solche fehler (oder bewußten falschdarstellungen) journalisten passieren. egal welches thema, in dem ich wirklich firm bin – wenn journalisten anfangen, verzerrte und einseitig gefärbte bilder wieder zu geben, wird mir angst und bange. nicht nur, weil mich ärgert, wenn dinge falsch dargestellt werden – sondern, weil alles andere worüber diese leute berichtet haben in frage gestellt werden.
was soll man noch glauben, wenn so „angesehene“ kanditaten wie monitor, frontal oder plaßberg preise einsammeln und hochgelobt werden ganz offensichtlich mist berichten.
was bei schriftstellern ein ärgerniß ist, wird da in meinen augen zu einer echten gefahr. einer gefahr, der wir dank blogs und der besseren erreichbarkeit von experten im web 2.0 glücklicherweise entgegen wirken können, da jeder individuell immer bessere möglichkeiten hat, sich zu informieren.