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Allgemein

Steigende Fehlzeiten in Deutschland: Warum der Karenztag wieder in der Diskussion steht

Die Fehlzeiten von Beschäftigten in Deutschland steigen seit Jahren. Allein im Jahr 2023 meldeten sich Arbeitnehmer durchschnittlich an 6,6 % ihrer Arbeitstage krank, wie der Fehlzeitenreport des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido) zeigt. Während dieser Wert im Vergleich zu 2022 leicht gesunken ist, liegt er deutlich über dem Niveau der Jahre 2020 und 2010, es handelt sich um eine Verdoppelung. Besonders stark betroffen sind Angestellte im öffentlichen Dienst sowie Lehrer und Erzieher, die mit 7,5 % krankheitsbedingten Fehltagen pro Jahr die Spitzenposition einnehmen. Banken und Versicherungen verzeichnen hingegen die niedrigsten Krankenstände mit nur 4,5 %.

Diese Entwicklungen belasten die deutsche Wirtschaft erheblich. Arbeitgeber zahlten 2023 laut Bundesarbeitsministerium rund 67,9 Milliarden Euro an Lohnfortzahlungen für erkrankte Mitarbeiter – 10,7 Milliarden Euro mehr als 2020. Allianz-Vorstandschef Oliver Bäte geht sogar von 77 Milliarden Euro aus und nennt Deutschland „Weltmeister bei den Krankmeldungen“. Neben den direkten Kosten stehen auch indirekte Folgen wie Produktivitätsverluste im Raum.

Karenztag: Kosten senken und Verhalten ändern?

Bäte hat daher vorgeschlagen, den Karenztag wieder einzuführen, der vor 1970 in Deutschland bestand. Arbeitnehmer würden für den ersten Krankheitstag keine Lohnfortzahlung erhalten, wodurch Arbeitgeber entlastet und Arbeitnehmer zu verantwortungsvollem Umgang mit Krankmeldungen animiert werden sollen. Laut Berechnungen würde ein Arbeitnehmer mit 4000 Euro Bruttolohn etwa 130 Euro weniger verdienen, sollte er einen Karenztag in Anspruch nehmen.

Doch der Vorschlag ist hoch umstritten. Kritiker aus der Politik und von Gewerkschaften werfen Bäte vor, die Lebensrealität vieler Beschäftigter zu ignorieren. Die SPD argumentiert, dass die Zahl derjenigen, die trotz Krankheit zur Arbeit gehen, bereits hoch sei. Schlechte Arbeitsbedingungen und psychische Belastungen seien aus ihrer Sicht Hauptursachen für steigende Fehlzeiten, besonders in sozialen und pädagogischen Berufen. Die IG Metall führt an, dass viele Arbeitnehmer schlicht keine Wahl hätten, als sich krankzumelden, und pauschale Unterstellungen von „Arbeitsunlust“ deplatziert seien.

Alternative Vorschläge und politische Reaktionen

Die FDP lehnt Bätes Forderung ebenfalls ab, hat aber eigene Vorschläge zur Senkung der Fehlzeiten. Ihr Fraktionsvize Konstantin Kuhle schlägt vor, steuerfreie Boni für Arbeitnehmer einzuführen, die über einen Monat hinweg nicht krankheitsbedingt fehlen. Arbeitgeber könnten bis zu 250 Euro monatlich zahlen, ohne dass dies steuerlich oder sozialversicherungspflichtig belastet wird. Ein solches Modell soll Anreize schaffen, Fehlzeiten zu reduzieren, ohne pauschale Einschnitte vorzunehmen.

Öffentlicher Dienst als Problemfall

Besonders auffällig ist der hohe Krankenstand im öffentlichen Dienst, der laut Wido den Spitzenwert von 7,5 % erreicht. Damit sind Beschäftigte des Staates kränker als der Durchschnitt der deutschen Arbeitnehmer. Kurzausfälle von wenigen Tagen machen dabei den größten Anteil der Krankmeldungen aus. Das stellt die These in Frage, dass ausschließlich schlechte Arbeitsbedingungen die Ursache sind. Andernfalls müsste der Staat für seine Beschäftigten besonders unattraktive Arbeitsbedingungen schaffen, was viele Experten bezweifeln.

Fazit: Ein Balanceakt zwischen Kosten und sozialer Verantwortung

Die Diskussion um den Karenztag ist ein Balanceakt. Auf der einen Seite stehen Unternehmen, die angesichts steigender Krankenkosten ihre Wettbewerbsfähigkeit gefährdet sehen. Auf der anderen Seite gibt es Bedenken, dass Arbeitnehmer durch solche Maßnahmen zusätzlich unter Druck gesetzt werden. Die Debatte zeigt, wie eng wirtschaftliche und soziale Interessen miteinander verflochten sind – und wie wichtig differenzierte Lösungsansätze sind, um Fehlzeiten zu reduzieren, ohne die Grundprinzipien des deutschen Sozialsystems zu gefährden.

Quelle: FAZ.NET

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