In dem Buch Wenn Gott würfelt oder Wie der Zufall unser Leben bestimmt von Leonard Mlodinov habe ich eine sehr schöne Geschichte gefunden, welche mal wieder von den Tücken der Variation in der Führung handelt.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig die Erkenntnis, dass Arbeitsergebnisse immer einer gewissen Streuung unterliegen, in Führungsprozessen berücksichtigt wird. Dies führt zu teils verhängnisvollen Schussfolgerungen und Entscheidungen.
Mladinov erzählt in seinem Buch, wie der Psychologieprofessor Kahneman in den 60er Jahren den Auftrag bekommen hat, vor israelischen Luftwaffenausbildern einen Vortrag über Verhaltensänderung zu halten. Er betonte in seinem Vortrag, die bis heute verbreitete Hypothese, dass eine Belohung von positiven Verhalten verstärkend wirkt, Bestrafung hingegen nicht.
Dem widersprachen die anwesenden Fluglehrer vehement. Diese Behauptung würde sich in keinster Weise mit ihren eigenen Erfahrungen decken. Immer wenn sie einen Flugschüler für ein besonders gelungenes Manöver loben, fliegt er am nächsten Tag schlechter. Wenn sie hingegen einen Fugschüler wegen miserabler Leistungen anbrüllen haben, fliegt er am nächsten Tag besser.
Kahneman hatte nicht den Eindruck, dass die Fluglehrer einfach seinen Vortrag sabotieren wollten, sondern musste davon ausgehen, dass diese wahrheitsgemäß von ihren Erfahrungen berichtet haben.Wenn man heute Führungskräfte in der Wirtschaft zum gleichen Thema befragen würde, käme wahrscheinlich das Gleiche heraus.
Dieses Problem hat ihn dann eine Weile beschäftigt, bis er endlich auf die Lösung gekommen ist, dass sowohl seine Theorie der verstärkenden Wirkung eines Lobs als auch die Erfahrungen der Fluglehrer richtig sein können. Das erscheint zunächst paradox.
Wenn man allerdings in die Überlegungen die Variation von Arbeitsergebnissen mit einbezieht, kommt man darauf, dass das Lob und das Anbrüllen durch die Fluglehrer der Leistungsänderung zwar durchaus vorausgeht, aber nicht dafür ursächlich ist.
Streuende Arbeitsergebnisse haben immer einen Mittelwert und um diesen Mittelwert verteilen sich die übrigen Ergebnisse. Je weiter ein beobachtetes Ergebnis vom Mittelwert entfernt liegt, desto seltener tritt es auf. Nach einem außerordenlich guten oder schlechten Ergebnis, liegt das nachfolgende Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder näher am Mittelwert. Man nennt dieses Phänomen Regression zum Mittelwert. Wenn man also bei einem außerordentlich guten Ergebnis ein Lob ausspricht, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die auf das Lob folgenden Ergebnisse wieder schlechter sind. Das gleiche gilt für außerordentlich schlechte Leistungen. Auch hier ist es nach dem Anbrüllen sehr wahrscheinlich, dass die darauf folgenden Ergebnisse wieder besser sind. Die Krux ist nur, dass sowohl die Verbesserung nach dem Anbrüllen als auch die Verschlechterung nach dem Lob eingetreten wären, wenn die Fluglehrer gar nichts unternommen hätten. Es liegt also eine Fehlannahme bezüglich der Kausalität des Handelns vor.
Dies ist für manche Führungskräfte eine Enttäuschung, für manche ein Anlass, demnächst sorgsamer mit ihrer Energie umzugehen.
Damit wäre nur festgestellt, dass die Fluglehrer mit ihren Behauptungen richtig liegen. Wie kann es nun auch noch richtig sein, was der Psychologe zum Thema Verstärkung durch Lob und dessen Fehlen bei Bestrafung zu sagen hat? Beachtlich finde ich den Hinweis in dem Buch, dass diese Erkenntnis in erster Linie durch Tierexperimente gewonnen wurden. Man hat dann diese Erkenntnisse auf Menschen übertragen. Leider erfahren wir an dieser Stelle nichts mehr über die empirische Absicherung dieser Hypothese. Ich selber habe erhebliche Zweifel, dass Bestrafungen keinen Effekt haben. Ich habe sogar Zweifel, dass diese Effekte auch nur schwächer sein sollen als Belohnungen. Aber nehmen wir für einen Moment an, dass die Hypothese richtig ist. Dann wäre eine Verhaltensempfehlung für Führung: Man kann auf Dauer den Mittelwert durch Loben nach oben entwickeln (allerdings innerhalb enger Grenzen). Dazu dürfte man allerdings nicht nur außerordentlich gute Leistungen loben, sondern jedes Ergebnis, welches oberhalb des Mittelwerts und der Anforderungslinie liegt.
Man müsste dann aber trotzdem frustrationstolerant sein, da bei diesem Verfahren zwar seltener aber immer noch häufig genug Leistungsverschlechterungen nach dem Lob zu beobachten sind. Letztlich winkt aber der Lohn der langsamen Verbesserung.
Je länger ich allerdings über dieses Thema nachdenke, desto mehr kann ich Sprengers Idee aus seinem Buch Mythos Motivation: Wege aus einer Sackgasse abgewinnen. Diese lautet stark vereinfacht: Unternehmen und damit Führungskräfte können und sollen das Wollen der Mitarbeiter nicht beeinflussen. Es würde schon reichen, dafür zu sorgen, dass man sie nicht dabei behindert, wenn sie das richtige wollen. Das finde ich jedenfalls deutlich sympathischer als mich selbst als Lobautomaten zu sehen, der auf Messergebnisse reagiert. Das könnte auch eine Software.
Wow! Auf die streuenden Arbeitsergebnisse wäre ich bei einigem Nachdenken auch noch gekommen. Aber die Regression zum Mittelwert ohne kausalen Zusammenhang zur Bewertung ist super spannend.
Was in der Abhandlung gar nicht berücksichtig wurde ist: Lob kann auch durchaus tadeln. Lob erfüllt schliesslich nur dann seinen Zweck, wenn es beim Gelobten auch als solches aufgefasst wird.
Das setzt voraus, daß der Gelobte den Lobenden auch als besser, befähigter – schlicht als Lehrenden oder Mentor akzeptiert. Sonst kann sich – mal überspitzt gesagt – ein bis an die Haarspitzen mit Testosteron vollgepumptert junger Flugschüler schnell mal: „Zeig erstmal, was Du drauf hast, sonst weiß ich gar nicht, wie ich Dein Lob von dem meiner Oma unterscheiden soll“ denken.
Das passiert beim Anbrüllen zwar auch, ich denke aber, die negative Erfahrung beim Anbrüllen kann kurzfristig zu einer Verbesserung der Leistung führen, um eine unangenehme Situation zu vermeiden, wenn eine „Jetzt erst recht!“ Stimmung hervorgerufen wird. Bei zartbesaiteten Gemüter führt diese Methode vermutlich eher zu Fehlern durch Einschüchterung.
Lobende, Lehrer und Führungskräfte sollten wie Du es im letzten Absatz beschreibst, auf falsch ankommendes Lob und Tadel verzichten. Stattdessen sollten Sie besser auf Möglichkeiten warten, direkt durch die eigenen Fähigkeiten zu beeindrucken und dann Lob als Motivation einsetzen. Damit kann sich beim Untergebenen auch gleich ein Lerneffekt mit einstellen.
Ach ja – zur positiven Verstärkung an sich:
Es gibt da ja zalhreiche Literatur. Beispielsweise „Whale Done!“ – typisch amerikanischen Motivationsschund, in dem die Trainingsmethoden von Waltrainern auf Menschen übertragen werden. Und sich jeder bei klarem Verstand irgendwann sagt: „Wenn sich jemand mir gegenüber so verhielte, würde ich fragen, ob er noch alle Latten am Zaun hat“. Nicht alles, was beim Tier geht, geht auch beim Menschen. Dauerhaftes Loben, positiv Einreden und Verstärken kann auch ganz schnell mißtrauisch machen und nerven 😉
Der Gedanke einer automatisierten Lob-Software ist ein spannendes Web 3.0 Projekt, wenn die semantischen Fähigkeiten der Maschinen dementsprechend fortgeschritten sind 😉
Was man natürlich auch mal diskutieren könnte: Statt der ganzen Loberei könnte man sich einfach gemeinsam über das Gute Ergebnis freuen und es feiern, gleichgültig ob das nun durch einen zufälligen Ausreisser, besonderen Fleiß oder einfach Glück zustande gekommen ist. Dabei muss man ja nicht die Laune dadurch vermiesen lassen, dass man relativ sicher weiß, dass die folgenden Ergebnisse wieder schlechter werden.
Wow, erstklassiger Artikel!
Vielen Dank.