Dies ist ein sehr sperriges Buch, bei dem ich mir den Zugang hart erarbeiten musste. Aber wenn sich ein Autor die Mühe macht, 1.000 Seiten vollzuschreiben und damit einen Bestseller landet, gebe ich erst ab Seite 100 auf. Das ich nicht zu früh aufgegeben habe, hat sich später richtig gelohnt.
Es geht um die letzten 7 Jahre der DDR aus der Sicht der Bewohner eines alten Villenviertels in Dresden. Das Buch hat buddenbroksches Format (steht so auf dem Klappentext). Man braucht eine Weile (ca. 100 Seiten eben), bis man durch die komplexe Personenstruktur durchblickt und sich an die wirklich ungewohnte Sprachvielfalt gewöhnt hat. Tellkamp könnte hier auch sprachlich einen großen Wurf mit Potenzial auf einen zeitlosen Klassiker gemacht haben.
Ich war 1987 selber für ein paar Wochen in der DDR und sogar in der Nähe des Handlungortes. Soweit ich das als Wessi nachvollziehen kann, hat er die Stimmung in dem Land in dieser Zeit sehr gut getroffen. Ich hatte trotzdem bis zu diesem Buch nicht den Eindruck, verstanden zu haben, wie es eigentlich zu der friedlichen Revolution 1989 gekommen ist, hier wird es im Verlaufe des Buches sehr klar.
Aus der Sicht der Familie Hoffman, bestehend u.a. aus einem Handchirurgen, einem Schüler und Wehrpflichtigen, einem Lektor und Zensor wird erzählt, wie kaputt, verrottet, verlogen und aussichtslos umweltzerstörend die DDR zum Schluss war und mit welchen für Wessies unvorstellbaren Mängeln die Menschen leben mussten.
Man wird Zeuge, wie der Staat nicht nur nicht mehr in der Lage ist, die grundlegensten Bedürfnisse nach Gesundheitswesen, sauberen, intakten Wohnraum, Strom, Heizung und zum Schluss sogar Lebensmittel zu befriedigen, sondern wie er auch systematisch die für uns selbstverständliche Privatheit durch Wohnungsbelegungen und Schikanen bis in den Urlaub hinein zerstört.
Dabei werden weder die Funktionäre undifferenziert als korrupte Unmenschen beschrieben, noch die normalen Büger als willenlose Deppen. Vielschichtig und differenziert wird beschrieben, wie sich dieses System durchaus immer wieder nachvollziehbar legitimiert hat und letztlich doch an schweren Fehlern zugrundeging.
Spätestens nach der Hälfte des Buches ist man vollständig gefangen in der Handlung.
Es gab wenige Bücher, die mich in den letzten Jahren mehr berührt haben. Hoffentlich gibt es eine Fortsetzung für die Zeit nach der Wende.
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lese-raum Bewertung Frank Roebers
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